«Chinesische Chronik» – Rita BALDEGGER

Peking, den 4. April 2001

Das 21. Jahrhundert hat angefangen, Herr Bush!
China verlangt von den USA eine Entschuldigung für den Flugzeugzusammenstoss vom Sonntag. Die USA schalten auf stur – nicht nur in dieser Sache.

Die USA, sagte Präsident Jiang Zemin am Mittwoch, sollten so handeln, dass sich die Beziehungen zwischen den beiden Ländern reibungslos entwickeln könnten, anstatt sich in Bemerkungen zu ergehen, die Recht und Unrecht verwischen würden und die Beziehungen schädigen könnten.

Jiang Zemin verlangt von den USA eine Entschuldigung für den Zwischenfall vom Sonntag, als ein amerikanisches Spionage- und ein chinesisches Kampfflugzeug zusammenstiessen. Die beiden Länder weisen sich gegenseitig die Schuld zu.

Der US-Flieger musste auf der südchinesischen Insel Hainan notlanden; der chinesische Pilot wird weiterhin vermisst. Am Mittwoch erlaubte China US-Diplomaten erstmals Zugang zur 24-köpfigen Besatzung, schweigt sich aber darüber aus, wann diese samt Flieger die Insel verlassen dürfen.

US-Staatssekretär Colin Powell wies laut Reuters eine Entschuldigung von sich. In einer Eskalation der Worte sagte er zum ersten Mal, die Besatzung würde « festgehalten ». Und Präsident Bush bemerkte, die sino-amerikanischen Beziehungen stünden auf dem Spiel.

Seit Beginn der Krise hat sich die chinesische Regierung mit ihren Äusserungen zurückgehalten. Auch die Bevölkerung wurde nicht zu anti-amerikanischen Demonstrationen aufgestachelt, wie dies nach der NATO-Bombardierung der chinesischen Botschaft 1999 in Belgrad der Fall gewesen war. Damals befanden sich die Beziehungen auf einem Tiefstand.

Ein Handelsabkommen und eine Normalisierung der Handelsbeziehungen brachten einen gewissen Aufschwung. Bis die USA George W. Bush zum Präsidenten wählten.

Sein Vorgänger Clinton hatte China zum « strategischen Partner » hochgejubelt. Ungeachtet des tatsächlichen Gehalts dieser Bezeichnung hatten sich die Beziehungen unter seiner Administration entspannt und gipfelten 1998 in seinem Besuch der Volksrepublik – der erste eines amerikanischen Präsidenten nach dem Tiananmen-Massaker 1989.

Trotz der Hochstimmung vergass Clinton bei seinem Besuch die Meinungsunterschiede nicht und sprach Jiang Zemin in einer live übertragenen Pressekonferenz auf die Tibet-Frage an. Er tat dies mit einer rhetorischen Leichtigkeit und Brillanz, von der Bush nur träumen kann. Der stiess China nach seinem Amtsantritt gleich vom Podest und führte den Begriff des « strategischen Mitstreiters » ein.

Chinas Regierung ertrug diese kalte Dusche mit Gelassenheit. Mitte März lud Premier Zhu Rongji vor laufenden Kameras Präsident Bush zu einer China-Visite ein. Bush hat auf das Angebot reagiert, indem er zuerst den japanischen Premier Yoshiro Mori in Washington empfing und erst dann den chinesischen Vize-Premier Qian Qichen. Wieder verwies Bush China in die zweite Reihe.

Die Bush-Regierung glaubt, in China ihren Feind zu erkennen und geht auf Konfrontationskurs: bei den Menschenrechten (die USA streben eine Verurteilung Chinas durch die UNO-Menschenrechtskommission bei ihrer diesjährigen Tagung in Genf an) oder hinsichtlich Taiwan.

Staatssekretär Powell betonte zu einem früheren Zeitpunkt, dass die USA an der « Ein-China-Politik » festhalten werden. Bush wird bald darüber entscheiden, ob die USA unter anderem Zerstörer an Taiwan liefern werden, die mit einem hochmodernen Radarsystem zur Raketenabwehr (Aegis) versehen sind. Clinton lehnte dies vor einem Jahr ab, um die Beziehungen zu China nicht zu trüben. Für Bush werden solche Bedenken kaum Vorrang haben. Er sieht China als kommende Macht, die es gilt, im Zaun zu halten.

Die Frage ist, ob eine solche Cowboy-Mentalität zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch angebracht ist, zumal Druck nur Gegendruck erzeugt. China hat sich bereits nach einem neuen Verbündeten umgeschaut: Mit Russland will es im Sommer einen Freundschaftsvertrag unterzeichnen. Dabei geht es in erster Linie um eine Allianz gegen die Pläne der USA, für sich und seine Verbündeten Raketenabwehrsysteme zu errichten.

Politisch stagniert China, aber wirtschaftlich ist es ein Land im Umbruch und als solches vor allem daran interessiert, seine Märkte auszubauen. Und zu den wichtigsten gehören eindeutig die USA. Chinas verbale Zurückhaltung liegt auch darin begründet, dass es seine wirtschaftliche Entwicklung nicht gefährden will, von deren Erfolg wiederum die Legitimierung der Regierung abhängt.

Jiang Zemin hat von den USA eine Entschuldigung verlangt. Dahinter steht der Anspruch, von den USA respektiert zu werden. China ist keine Demokratie, ganz bestimmt nicht, und wird es wohl lange nicht sein. Aber der vernünftige Dialog sollte – im Zeitalter der so hoch gepriesenen Kommunikation – jeglichem Kriegsgeschrei vorgezogen werden.

Verfolgungsjagden in der Luft
China möchte seine Kontrolle über das südchinesische Meer verstärken.

Das amerikanische Spionageflugzeug und der chinesische Kampfflieger haben den Zeitpunkt ihres Zusammenstosses schlecht gewählt. Damit nicht genug, ist auch der Ort des Zwischenfalls von Brisanz: das südchinesische Meer.

China betrachtet das ganze Gebiet mit den wachsamen Augen eines Besitzers, ebenso wie Vietnam und Taiwan (für Peking eine chinesische Provinz).

Dieser Auffassung folgend streitet sich China mit diesen Ländern, aber auch mit Brunei, Malaysia und den Philippinen – welche Teile des Gebiets beanspruchen – um die Oberherrschaft über die kleinen Inseln und Atolle in diesen Gewässern.

Der hauptsächliche Stein des Anstosses sind die Spratly-Inseln, auf die alle genannten Staaten ganz oder teilweise Anspruch erheben. China stiess im März wegen der Mini-Inseln wieder mit den Philippinen zusammen.

Die philippinische Marine hatte chinesische Fischer abgefangen, die mit unlauteren Mitteln gearbeitet und auch vor geschützten Meerestieren nicht Halt gemacht hätten. Peking lehnte die Anschuldigungen ab und verwies desweiteren auf die traditionelle territoriale Zugehörigkeit der Inseln zu China. Die Philippinen argwöhnen, dass China Bauten auf den Spratlys errichten will – wie vor sechs Jahren bereits geschehen.

Das südchinesische Meer, und besonders das Gebiet um die Spratly-Inseln, ist strategisch von grosser Bedeutung. Dort verlaufen die Schiffsrouten für den südostasiatischen Wirtschaftsraum, dort findet ein Viertel des weltweiten Transporthandels statt. Zudem sind die Spratly-Inseln mit reichen Fischvorkommen gesegnet, und erhebliche Öl- und Gasreserven werden unter dem Meeresgrund vermutet.

China möchte seine Kontrolle über das südchinesische Meer verstärken, und das umfasst auch seine militärische Präsenz. Laut Experten ist es nicht ungewöhnlich, dass die USA Spionageflugzeuge in die Region entsenden. Zum Alltag gehöre auch ihre Bewachung durch chinesische Kampfflieger. Neu sei hingegen die Aggressivität, mit der die chinesischen Flieger ihrer Aufgabe nachkommen würden. China will sich nicht mehr in die Karten schauen lassen.